Montagmorgen, 06:15 Uhr. Eine Maschine steht. Ein Sensor hat den Geist aufgegeben, die Erstprüfung hängt hinten dran, die Schicht ist nervös.
Vor mir stehen zwei Mitarbeitende: Max, neu im Team, top motiviert, aber unsicher in der Fehleranalyse. Daneben Mehmet, alter Hase, der seit Jahren jede Störung an dieser Anlage „am Geräusch“ erkennt.
Beide brauchen Führung – aber nicht dieselbe.
Genau hier beginnt situatives Führen: Ich passe meinen Stil an Aufgabe, Kompetenz und Motivation an. Max bekommt klare Struktur und Sicherheit. Mehmet bekommt Entscheidungsspielraum und Rückendeckung. Ergebnis: Die Linie läuft wieder – und beide gehen gestärkt aus der Situation.
Was situatives Führen ausmacht
Situatives Führen bedeutet, dein Verhalten flexibel an den Reifegrad einer Person für eine konkrete Aufgabe anzupassen. Zwei Fragen reichen für den Einstieg:
- Kompetenz: Kann die Person das (schon)?
- Engagement: Will sie das (gerade)? – also Motivation/Zuversicht.
Daraus ergeben sich vier typische Führungsmodi für diese eine Aufgabe:
- Anleiten (viel Struktur, wenig Beziehung): Wenn Kompetenz niedrig, Engagement hoch ist. „So geht’s. Schritt 1–3. Ich bin in 15 Min. wieder da.“
- Erklären/Überzeugen (viel Struktur, viel Beziehung): Kompetenz noch begrenzt, Engagement wackelt. „Ich zeige dir das Warum und wieso das Sinn macht. Wir probieren’s zusammen.“
- Beteiligen/Coachen (wenig Struktur, viel Beziehung): Kompetenz gut, Engagement schwankt. „Wie würdest du vorgehen? Ich gebe dir Feedback und sorge für Hindernisfreiheit.“
- Delegieren (wenig Struktur, wenig Beziehung): Kompetenz hoch, Engagement stabil. „Ziel & Rahmen sind klar – du entscheidest. Ich will nur das Ergebnis sehen.“
Wichtig: Ein Mensch kann je nach Aufgabe in unterschiedlichen Feldern landen. Mehmet braucht bei der neuen Audit-Software vielleicht „Erklären/Überzeugen“, obwohl er an der Maschine schon „Delegieren/delegiert werden“ kann.
Mein 5-Minuten-Readiness (Aufgabenreife)-Check
Nimm Stift und Notizzettel, bewerte für die konkrete Aufgabe:
- Skill (S): 1–5 (1 = keine Erfahrung, 5 = routiniert & präzise)
- Will (W): 1–5 (1 = kein Bock/Unsicherheit, 5 = hohes Commitment)
Entscheidung:
- S1–2 / W4–5 → Anleiten
- S1–2 / W1–3 → Erklären/Überzeugen
- S3–4 / W2–4 → Beteiligen/Coachen
- S4–5 / W4–5 → Delegieren
Formulierungsbeispiele für jede Lage:
- Anleiten: „Ich zeige dir die Schritte. Du wiederholst. Dann übernimmst du die nächsten zwei Stück, ich beobachte kurz.“
- Erklären/Überzeugen: „Mir ist wichtig, dass du den Hintergrund kennst – dann wirkt’s nicht wie pure Anweisung. Danach machen wir es zusammen.“
- Beteiligen/Coachen: „Welche zwei Optionen siehst du? Entscheide dich für eine, ich bin Sparringspartner.“
- Delegieren: „Du kennst das. Ziel: heute 15:00 Uhr i.O.-Meldung. Brauchst du irgendwas von mir?“
Schritt-für-Schritt: So setzt du situatives Führen heute noch um
- Kläre das Ergebnis: Was genau ist „fertig“? (Qualitätskriterien, Zeit, Sicherheits- und Freigabegrenzen)
- Checke S & W (1–5): ehrlich, schnell, ohne Drama.
- Wähle den Modus (Anleiten / Erklären / Beteiligen / Delegieren).
- Sprich im passenden Ton (siehe Formulierungen oben).
- Baue eine Rückmelde-Schleife ein: „Nächster Check-in um 10:30 Uhr, max. 10 Minuten.“ Die Dauer variiert je nach Aufgabe.
- Entferne Hindernisse: Material, Freigaben, Zuständigkeiten, Prioritäten.
- Reflektiere kurz: Hat der Modus gepasst? Was lernst du für’s nächste Mal?
Praxisvorlage fürs Aufgaben-Briefing (kopieren & nutzen):
- Ziel: …
- Grenzen/Risiken: …
- Entscheidungsspielraum: …
- Qualitätskriterien: …
- Zeitfenster/Meilensteine: …
- Unterstützung/Kontaktpunkt: …
Typische Fehler – und wie du sie vermeidest
- Ein Stil für alle. → Stell pro Aufgabe neu ein.
- Zu spät umschalten. → Wenn du merkst, dass Fragen zunehmen, geh eine Stufe strukturierter. Wenn es läuft: eine Stufe freier.
- Feedback nur am Ende. → Kurze Zwischen-Checks sparen dir Korrekturschleifen am Schluss und du behälst den Überblick und kannst ggf. eingreifen.
- Delegieren ohne Rahmen. → Delegation ist klare Freiheit in klaren Grenzen, nicht „mach mal“.
Story aus der Instandhaltung
Bei einem Anlagenstillstand habe ich einen neuen Kollegen bei der Fehlersuche angeleitet: Sicherheitsregeln, Messpunkte, Dokumentation – Schritt für Schritt. Parallel habe ich dem erfahrenen Kollegen die Entscheidung über die temporäre Umgehung delegiert – mit klarem Rahmen („kein Eingriff in Sicherheit, max. 60 Minuten, danach Stop & Review“).
Die Anlage lief 45 Minuten später, die Ursache war sauber dokumentiert. Und: Der neue Kollege hat gelernt, ohne sich überfordert zu fühlen.
1:1-Werkzeugkasten
Drei Fragen, die immer wirken:
- „Was fällt dir bei dieser Aufgabe leicht – was noch schwer?“
- „Wobei brauchst du Struktur – wobei nur Rückendeckung?“
- „Woran merken wir beide in 24 Stunden, dass du vorangekommen bist?“
Mini-Coaching-Loop (10 Minuten):
Ziel klären → Optionen sammeln → Entscheidung treffen → nächster Schritt → Hindernis entfernen → Zeitbox setzen.
Prüfung & Karriere: Warum das Thema für gerade für Industriemeister entscheidend ist
Im Fachgespräch wird gern geprüft, ob du Situationen liest und deinen Stil begründet anpasst – nicht ob du Schlagworte auswendig kannst.
Konkreter Tipp: Beschreibe Aufgabe, nenne Readiness (S/W), begründe Modus, sichere Feedback ab. Das wirkt reif, praxistauglich und prüfungsstark.
Dein nächster Schritt
- Wähle heute eine Aufgabe in deinem Team und mache den 5-Minuten-Readiness-Check.
- Passe deinen Stil bewusst an – eine Stufe strukturierter oder eine Stufe freier.
- Notiere 2 Sätze, die du morgen anders sagst. (Zum Beispiel von „Mach mal…“ zu „Ziel X, Grenze Y, Check-in um Z.“)
Wenn du angehender Industriemeister bist oder Teams führst und das systematisch lernen willst: Folge auf Instagram!
Hier zeige ich dir praxisnahe Tools, Vorlagen und Formulierungen – inklusive Prüfungsperspektive und echten Fallbeispielen aus der Industrie. Schreib mir gern deine Fragen 😉
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